Claude Bachmann

«Junge Menschen [sind daher] einer jener ‹theologischen Orte›, an denen uns der Herr manche seiner Erwartungen und Herausforderungen für die Gestaltung der Zukunft erkennen lässt.»[1] (AD 64) Mit der Bezeichnung junger Menschen als locus theologicus im Abschlussdokument der Jugendsynode 2018 streichen die Synodenteilnehmer mit grosser Wucht die Bedeutung junger Menschen für die Kirche und das Erkennen der Zeichen der Zeit heraus. Waren mit den loci theologici üblicherweise etwa die Heilige Schrift, die Tradition oder das Lehramt gemeint, treten nun junge Menschen als «Zeug[en] und Träger der Überlieferung»[2] hinzu. Junge Menschen sind für die Kirche und Gesellschaft lebendige Orte, in und an denen der authentische Glaube bezeugt wird und die somit wesentlich zur seiner Tradierung und Verkündigung beitragen. Die existentielle Bedeutung junger Menschen für die Kirche und Gesellschaft heute unterstreichen die Synodenteilnehmer noch zusätzlich, wenn sie aus christlicher Optik auf den Ursprung jeglicher Lebendigkeit verweisen und diesen sowohl theologisch als auch anthropologisch mit jungen Menschen in Beziehung setzen: «Denn wir glauben, dass Gott auch heute durch junge Menschen – mit ihrer Kreativität und ihrem Engagement ebenso mit ihrem Leiden und ihren Hilferufen – zu Kirche und Welt spricht». (AD 64)

Diese theologische Konzeption trägt zur Weiterentwicklung des Verständnisses der Jugendpastoral grundsätzlich und der Arbeit mit jungen Menschen im Speziellen bei, deren sich die katholische Kirche nach der Jugendsynode 2018 stellen muss. Mit der Jugendsynode markiert die katholische Kirche hinsichtlich der Begleitung junger Menschen einen Wendepunkt, hinter den sie sich nicht mehr treten kann.

Dieser Beitrag möchte einen Anstoss geben, junge Menschen als locus theologicus theologisch zu erschliessen und Konsequenzen dafür ziehen, wie jungen Menschen in der pastoralen Arbeit zu begegnen ist. Dabei sollen in einem ersten Kapitel einige grundlegende Aspekte zu den loci theologici ausgelegt werden, um diese im zweiten Kapitel mit jungen Menschen in Beziehung zu setzen. Ausgehend von der Lehre der loci theologici Melchior Canos machte es deren Weiterentwicklung und Öffnung im 20. Jahrhundert möglich, heute von jungen Menschen als locus theologicus zu sprechen. Hier gilt es die theologische Bedeutung junger Menschen als locus theologicus für die Kirche und Gesellschaft auszuarbeiten. Im dritten Kapitel wird schliesslich darüber nachgedacht, wie junge Menschen in der pastoralen Arbeit einzubeziehen sind, damit die Programmatik der Jugendsynode nicht im Abschlussdokument endet, sondern ihren Anfang nimmt.

I.             Ursprung und Verständnis der loci theologici

Wenn junge Menschen im Abschlussdokument der Jugendsynode als locus theologicus bezeichnet werden, bedarf es zuerst eines kurzen Überblicks über die Ursprünge und das heutige Verständnis der loci theologici. Diese Ausführungen sollen helfen, die Aussage der Jugendsynode in ihrer theologischen Bedeutung und Tiefe erfassen zu können.

Die Wurzeln bei Melchior Cano

Als spanischer Dominikaner im 16. Jahrhundert mit der Reformation konfrontiert, war es Melchior Cano ein Anliegen, den Theologen ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, aus denen sie Argumente entnehmen können, die ihrer Arbeit als christliche Lehrer in der Unterweisung der gesunden Lehre und Widerlegen der Gegner[3] dienlich waren. Von der aristotelischen Topik und Thomas von Aquin inspiriert, legte Cano «loci für die Theologie [vor], denen man nicht nur gleichsam allgemeine und der Theologie gewissermassen fremde Argumente (argumenta quasi communia et aliena), sondern auch theologiespezifische argumenta propria entnehmen könne»[4]. Es ging dem Dominikanertheologen explizit nicht um ein Argumentarium für eine allgemeine Disputation. Er verstand seine loci als Orte, aus denen Theologen Argumentationen für die Bekräftigung und Verteidigung des authentischen Glaubens gewinnen konnten.

Theologische Bezeugungsinstanzen heute

Die Konzeption der loci theologici nach Melchior Cano hat bis heute noch ihre Gültigkeit, allerdings kam es im Laufe der (Theologie-)Geschichte zu Verschiebungen in deren Bewertung und Gewichtung. Während Melchior Cano im 16. Jahrhundert in seinem Werk De locis theologicis (1563) noch zehn loci theologici[5] vorlegte, kennt die theologische Erkenntnislehre heute fünf loci theologici, resp. «theologische Bezeugungsinstanzen»[6]: die Heilige Schrift, die Tradition, das kirchliche Lehramt, die wissenschaftliche Theologie und der Glaubenssinn der Gläubigen (sensus fidelium).[7] Zu beachten ist, dass Cano in seinem System neben «theologieinternen Kriterien» [8] «aussertheologische Instanzen oder ‹Fremdorte›»[9] vorsah, nämlich die menschliche Vernunft, die Philosophie und die Geschichte. Heute liessen sich weitere Instanzen ergänzen: die Naturwissenschaften, die Psychologie, die Soziologie, die Geschichte, die Philosophie oder die Vernunft zu nennen, welche «von aussen» auf die Kirche für ihr ekklesiologisches Selbstverständnis einen bedeutenden Einfluss nehmen.[10]

Wenn von mehreren Bezeugungsinstanzen die Rede ist, liegt es in der Natur der Sache, nach einer Hierarchisierung oder Priorisierung der einzelnen Instanzen zu fragen. Gerade im Zuge des Konzils von Trient wurde die Rechtlichkeit der katholischen Kirche stark betont, was zu einer Verkürzung der Loci theologici auf das Lehramt führte und im Ersten Vatikanischen Konzil mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes ihren Höhepunkt fand. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Akzentuierung der Kirche als Communio, kam es demgegenüber erneut zu einem äquivalenten Verständnis der Bezeugungsinstanzen. «Sie sind die eine wie die andere Instanzen innerhalb der einen Glaubensgemeinschaft Kirche und daher je in der Lage, den Glauben zu erkennen, auszulegen und zu bezeugen.»[11] Die Bezeugungsinstanzen werden somit heute nicht mehr hierarchisch gedacht, sondern als (Beziehungs-)Geflecht verstanden, in welchem die einzelnen Instanzen zueinander korrelieren und aufeinander bezogen sind. Somit tragen alle Bezeugungsinstanzen als theologische Orte gleichermassen zur Tradierung und Weitergabe des Glaubens bei. In diesen Interaktions- bzw. Korrelationsraum unterschiedlicher Bezugspunkte des Glaubens setzt nun die Jugendsynode junge Menschen als theologischen Ort.

Dabei ist in allen Übersetzungen des Abschlussdokumentes bei der Nummer 64 nicht von Bezeugungsinstanz(en), sondern von «loci theologici», resp. «theologische Orte» zu lesen. Gerade im Kontext von Jugendpastoral stellt sich zurecht die Frage, wie dienlich das Bild junger Menschen als (theologische) Orte ist. 

Ort als Beziehungsgeschehen

Um das Verständnis junger Menschen als einen (theologischen) Ort besser einordnen und später in Relation bringen zu können, ist an dieser Stelle der Begriff des Ortes in seiner Metaphorik zu beleuchten. Dies wird der adäquaten Wahrnehmung junger Menschen als locus theologicus hilfreich sein.

Wesentlich für den christlichen Glaubensvollzug ist, dass es Orte gibt, «an denen der Glaube zur Erfahrung wird; [...] an denen der Glaube bezeugt und weitergegeben wird; und [...] Orte, die für das Verstehen des Glaubens von Bedeutung sind bzw. an denen sich der Glaube bewähren muss.»[12] Wenn in diesem Zusammenhang nun von Orten die Rede ist, muss über geografische Orte hinausgedacht werden. Vielmehr geht es um Orte im übertragenen Sinn, in welchen der Glaube für andere konkret und erfahrbar wird und für sich selber gelebt und vollzogen werden kann. Das kann beispielsweise ein Ereignis, ein Erlebnis, eine Begegnung oder auch das persönliche Gebet mit Gott sein. Konstitutiv für die Konkretheit des Glaubens in all seinen Dimensionen und Tiefen sind dabei Beziehungen. Bernhard Körner drückt dies mit Verweis auf den französischen Lyriker Philippe Jaccottet folgendermassen aus: «Ein Ort ist eine Art Mitte, die in Beziehungen gesetzt wurde und sich aus diesen Beziehungen ergibt. Was also einen Ort zu einem Ort macht, sind Beziehungen.»[13] Weiter legt Körner in Anlehnung an Doreen Massey dar, dass Orte als «Summe von Beziehungen, Verbindungen und Praktiken»[14] auch als Räume verstanden werden können: «Orte [können] auch als Räume gesehen werden – als Räume, die durch diese Beziehungen gewissermassen ‹aufgespannt› werden.»[15] Dies ist möglich und notwendig, weil der trinitarische Gott selbst Beziehung ist und in der Person Jesu, in Raum und Zeit, für die Menschen konkret wurde und mit ihnen in Beziehung getreten ist.

Die grobe Skizzierung der Ursprünge und des heutigen Verständnisses der loci theologici lassen erahnen, wie theologisch bedeutsam die Rede von jungen Menschen als einer der theologischen Orte ist. Mit dieser Formulierung im Abschlussdokument macht die Jugendsynode junge Menschen zu einer tragenden Säule des christlichen Glaubens und ist an Anerkennung und Glaube an junge Menschen kaum zu überbieten. Es gilt nun aber der Frage nachzugehen, wie sich das theologische Konzept der loci theologici auf junge Menschen übertragen lässt, respektive wie junge Menschen als locus theologicus verstanden werden können.

II.           Junge Menschen als locus theologicus

Wie junge Menschen als einer der theologischen Orte für die Kirche und den Glauben fruchtbar sein können, deutet Papst Franziskus im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Christus Vivit» zur Jugendsynode an: «Wir müssen mehr Räume schaffen, wo die Stimme der jungen Menschen ertönt.» (CV 38) Mit diesem Satz hebt Papst Franziskus abermals die Bedeutung der mitbestimmenden und mitgestaltenden jungen Menschen für die Kirche und damit verbunden für den Glauben hervor. Wie kann es für die Pastoral nun aber gelingen, junge Menschen als locus theologicus zu erschliessen? Der zweite und dritte Teil dieses Beitrages möchte sich dieser Fragestellung annähern und tut dies methodisch entlang der eben zitierten Aussage von Papst Franziskus. Während der Fokus im dritten Teil auf die Schaffung der Räume in der Jugendpastoral liegt und damit versucht wird, aus religionspädagogisch praktischer Perspektive eine Antwort auf die Fragestellung zu geben, soll es im Folgenden um das Ertönen der Stimme junger Menschen gehen, verbunden mit der Frage, wie junge Menschen und das Konzept der loci theologici adäquat in Beziehung gebracht werden können.

Begegnung mit Menschen

Junge Menschen als locus theologicus verstehen bedeutet in erster Linie den jungen Menschen als Personen und Individuen zu begegnen, denen zugestanden wird, den authentischen Glauben bezeugen zu können und so wesentlich zur Tradierung und Weitergabe dessen beizutragen.

Stellt man die für den Glauben heute bedeutenden fünf theologischen Bezeugungsinstanzen den jungen Menschen als locus theologicus gegenüber, so fällt auf, dass nebst den jungen Menschen als locus theologicus bei nur einer der fünf Bezeugungsinstanzen direkt Menschen als locus theologicus identifiziert werden: Glaubenssinn der Gläubigen (sensus fidelium). Selbstverständlich implizieren die Heilige Schrift, die Tradition, das kirchliche Lehramt und die wissenschaftliche Theologie konkrete Menschen (Evangelisten, Kirchenväter, Kirchenlehrerinnen, Amtsträger und Theologinnen und Theologen), ohne die die vier Bezeugungsinstanzen nicht als loci theologici funktionieren können. Dasselbe gilt auch für die oben erwähnten «aussertheologischen Instanzen». Trotzdem: In der jeweiligen Bezeichnung der Instanz werden nur beim Glaubenssinn der Gläubigen direkt Menschen als locus theologicus beschrieben. Dies aber gilt nun auch explizit für die jungen Menschen, wenn sie als eigener locus theologicus benannt werden. «Zeug[en] und Träger der Überlieferung»[16] sind in diesen beiden loci theologici konkrete (junge) Menschen mit ihren Erfahrungen im Glauben und nicht ein System wie das kirchliche Lehramt oder die wissenschaftliche Theologie.

Dynamik der Begegnung

Wenn die Stimmen junger Menschen als locus theologicus hörbar sein sollen, ist Dynamik und Lebendigkeit in Begegnungen geschehen zu lassen und zu fördern.

Das Entscheidende im Verständnis junger Menschen als locus theologicus ist die direkte Begegnung mit ihnen. Es ist im Sprechen über junge Menschen nicht möglich, sie als einen der theologischen Orte zu erschliessen. Dies hat für die Kirche im Allgemeinen und für die Jugendpastoral im Speziellen die notwenige Konsequenz, Begegnungen mit und unter jungen Menschen zu ermöglichen. Denn junge Menschen können nicht nur für die Kirche und den Glauben ein locus theologicus sein, sondern gerade auch für andere junge Menschen.

Bei Begegnungen mit jungen Menschen ist zu beachten, dass diese in einen Kontext gebettet sind, in welcher der junge Mensch sich nicht nur wohl fühlt, sondern sich in erster Linie authentisch bewegen und ausdrücken kann. Authentizität und Ehrlichkeit sind für junge Menschen in Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertreter der katholischen Kirche von grosser Bedeutung. Dies haben die jungen Menschen der Vorsynode mehrmals betont. «Junge Menschen sehnen sich heutzutage nach einer authentischen Kirche. Besonders zur Hierarchie der Kirche sagen wir: Seid transparent, offen, ehrlich, einladend, kommunikativ, zugänglich, freudig und eine Gemeinschaft im Austausch.» (VS 11) Dieser Austausch muss in jedem Fall auf Augenhöhe vollzogen werden, um dem Rollengefälle zwischen jungen Menschen und Vertreterinnen und Vertreter der Kirche entgegenzuwirken, worauf später nochmals genauer eingegangen wird. Es ist dies der fruchtbare Nährboden für das Zugehen junger Menschen auf die katholische Kirche und prägen die Dynamik und Lebendigkeit der Begegnung wesentlich mit. Es wäre vermessen die Fruchtbarkeit solcher Begegnungen bloss auf Aussagen junger Menschen reduzieren zu wollen. In diesem Fall würden die jungen Menschen auf eine Ausdrucksweise festgelegt, die für sie je nach Kontext nicht prioritär ist. Es ist die Dynamik und Lebendigkeit der Begegnungen mit jungen Menschen, die substantiell dazu beiträgt, sie als echte Glaubenszeuginnen und Glaubenszeugen identifizieren zu können. Dabei hat gerade die Jugendsynode 2018 gezeigt, wie der Faktor der Dynamik Einfluss auf das Geschehen nehmen kann, als die jungen Auditorinnen und Auditoren Redebeiträge in der Synodenaula mit Applaus oder mit Schweigen quittiert haben. Sie haben so auf ihre ganz persönliche Art und Weise ihre Meinung deutlich zum Ausdruck gebracht. Allein die Anwesenheit der jungen Auditorinnen und Auditoren hat das Klima positiv geprägt. Dies spürte Papst Franziskus bereits zu Beginn der Synode: «Wenn wir diese Aula betreten, um über die jungen Menschen zu sprechen, so spürt man bereits die Kraft ihrer Anwesenheit, die eine positive Stimmung und einen Enthusiasmus verbreitet, die im Stande sind, nicht nur diese Aula zu erfüllen und zu erfreuen, sondern die gesamte Kirche und die ganze Welt.»[17] Papst Franziskus hat im weiteren Verlauf der Jugendsynode höchstpersönlich die jungen Auditorinnen und Auditoren dazu aufgerufen, sich in der Synodenaula weiterhin bemerkbar zu machen. Ebenfalls haben Bischöfe davon berichtet, dass die vergangene Bischofssynode eine der lebendigsten Synoden war.

Resonanzfähigkeit in Begegnungen

Junge Menschen als locus theologicus erschliessen setzt Resonanzfähigkeit sowohl bei jungen Menschen als auch beim Gegenüber und somit nicht zuletzt bei der katholischen Kirche voraus.

Dynamik und Lebendigkeit in Begegnungen, die jungen Menschen den nötigen Raum für ihre Artikulation bieten, sind wichtige Voraussetzungen, damit sich junge Menschen adäquat äussern und einbringen können. Fatal wäre allerdings, es beim blossen Ertönen der Stimmen junger Menschen zu belassen. Diese Stimmen müssen auf Menschen mit offenen Ohren und offenem Geist stossen, damit das Gesagte sich nicht im luftleeren Raum auflöst und damit verloren geht. Der dynamische und lebendige Kontext von Begegnungen mit jungen Menschen muss resonanzfähig sein. Dies setzt eine Resonanzfähigkeit bei allen Beteiligten voraus. Erwachsene Personen müssen in Begegnungen mit jungen Menschen bereit sein, sich von den Stimmen berühren und das Gesagte auf sich wirken zu lassen. Junge Menschen sollen die Erfahrung machen können, dass sie auf ein Gegenüber stossen, auf den ihre Stimme und das Gesagte eine Wirkung hat. Die Angeregtheit von erwachsenen Personen darf allerdings nicht vom blossen Umstand der Begegnung kommen, die möglicherweise extra für einen Austausch organisiert wurde und nicht selten durch Dritte orchestriert wird, sondern weil die Stimme des jungen Menschen bei seinem Gegenüber im Innersten etwas auslöst. Hartmut Rosa hat dies mit dem Verweis auf die Resonanzfähigkeit der Stimmgabel so ausgedrückt: «Resonanz entsteht also nur, wenn durch die Schwingung des einen Körpers die Eigenfrequenz des anderen angeregt wird.»[18] Die Resonanzfähigkeit darf aber nicht nur eindimensional gedacht werden. Auch junge Menschen ihrerseits müssen offen für Reaktionen und Impulse sein und diese ebenso auf sich wirken lassen, wie sie es von anderen erwarten. Und wenn zugleich das Berührt-sein und Gerührt-werden aller Beteiligten zur Reflexion anregt, kann es zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung und die Begegnung zu einem theologischen Ort werden. Dabei geht es nicht um gut oder falsch, sondern um die grundsätzliche Bereitschaft zu einer echten conversio.

Begegnung auf Augenhöhe

Junge Menschen als locus theologicus fruchtbar werden lassen verlangt Begegnungen auf Augenhöhe, welche jegliches «ich weiss ...» zu einem «was meinst Du zu ...» machen.

Wenn bis jetzt einerseits die Dynamik der Begegnungen und anderseits die Resonanzfähigkeit der Beteiligten in der Dynamik der Begegnungen als wichtige Grundvoraussetzungen für das Verstehen junger Menschen als einer der theologischen Orte identifiziert wurden, so sagt dies noch wenig über die Kommunikationsbeziehung zu den jungen Menschen in den Begegnungen aus. Ohne es bewusst zu wollen oder zu suchen, schwingt im Dialog zwischen erwachsenen Personen und jungen Menschen eine Asymmetrie der Rollenwahrnehmung mit. Dies bestätigen zahlreiche Rückmeldungen junger Menschen in den verschiedensten pastoralen Settings. Von Erwachsenen wird in der Regel behauptet, dass sie aufgrund ihres Alters und ihrer bereits erlebten Geschichte erfahren sind, während «die Lebensphase Jugend [...] als eine Zeit des Moratoriums, des zwecklosen Verweilens in der Gesellschaft ohne feste Perspektiven und ohne Verantwortung wahrgenommen [wird]»[19]. Dies spiegelt sich insofern in Begegnungen erwachsener Personen mit jungen Menschen wider, als sich der junge Mensch selber in der Regel automatisch in einer schwächeren Position wahrnimmt. Gerade in der pastoralen Arbeit, beispielsweise in einem formellen Austausch zwischen dem Kirchgemeindevorstand oder dem Seelsorgeteam mit einer Gruppe junger Menschen, prägt dieses Ungleichgewicht den Dialog.

Junge Menschen wissen sich verstanden und ernstgenommen, wenn ihnen andere Personen auf Augenhöhe begegnen. Eine Begegnung auf Augenhöhe zielt darauf ab, die Asymmetrie der wahrgenommenen Rollen zwischen den Generationen aufzubrechen. Sie strebt nach einer Symbiose der älteren Generationen mit ihrem grossen Erfahrungsreichtum und der jüngeren Generation mit ihrem offenen Weltbild und ihrer Fähigkeit, die Gegenwart in ihrer Wirklichkeit zu erfassen und eine Zukunft zu entwickeln, die der Realität dieser Wirklichkeit entspricht. Eine gegenüber jungen Menschen vorurteilsfreie Haltung, eine nicht paränetisch durchdrungene Sprache oder die Rückbesinnung auf die eigene Jugendzeit können dabei helfen, den jungen Menschen das Gefühl der Wertschätzung und Anerkennung zu vermitteln.

Auch Papst Franziskus betont immer wieder die Wichtigkeit des Austausches zwischen den Generationen, fordert aber gleichzeitig, den Weg gemeinsam zu gehen, «um mit der Vergangenheit und der Zukunft im Austausch zu stehen: mit der Vergangenheit, um von der Geschichte zu lernen und die Wunden zu heilen, die uns zuweilen beeinträchtigen; mit der Zukunft, um den Enthusiasmus zu nähren, die Träume aufspriessen zu lassen, prophetische Visionen zu erwecken, Hoffnungen blühen zu lassen» (CV 199).

Glaubenswelt

Junge Menschen als locus theologicus wirken lassen bedeutet sich auf die Lebens- und Glaubenswelt der jungen Menschen einlassen zu können.

Es steht ausser Frage, dass die verschiedenen Generationen in unterschiedlichen Lebens- und Glaubenskontexten als Kinder und Jugendliche erzogen wurden und als junge Menschen und erwachsene Personen für ihr eigenes Leben verantwortlich sind. Gerade die christliche, resp. kirchliche Sozialisation kannte und kennt heute noch unterschiedliche Formen. In früheren Generationen pflegten die Eltern ihren Glauben den Kindern weiterzugeben. Dies wurde dann später oder zusätzlich vom Pfarrer im Religionsunterricht oder in der Sakramentenkatechese konkretisiert. Die Bindung an die Pfarrei und die dabei resultierte Einbettung in die Pfarreigemeinschaft waren ebenso selbstverständlich wie der sonntägliche Besuch des Gottesdienstes. Die Glaubensweitergabe und der Glaubensvollzug weisen heute hingegen vielfältige Formen auf, geschehen in unterschiedlichen Settings und ziehen sich nicht selten ins Private zurück. Dies macht deutlich, dass Begegnungen mit jungen Menschen immer auch Begegnungen mit fremden und nicht bekannten Lebens- und Glaubenswelten sind. Dabei darf die Konfrontation mit der jeweilig anderen Perspektive sowohl bei jungen Menschen als auch bei Erwachsenen nicht zu einem Beharren auf die eigene Lebens- und Glaubensvorstellung führen. Vor allem in Begegnungen mit jungen Menschen ist es als Gegenüber angezeigt, es nicht bei der blossen Anerkennung von Meinungen zu belassen, sondern die Bereitschaft zu haben und zum Ausdruck zu bringen, sich existenziell auf die Lebens- und Glaubenswelt junger Menschen einlassen zu wollen. Junge Menschen reagieren einerseits sehr sensibel auf vorgefertigte pastorale Worthülsen durch kirchliche Vertreterinnen und Vertreter. Sie lassen sich aber anderseits aufgrund von Interesse für ihre Lebens- und Glaubenswelt und einem spürbaren Bemühen, diese in ihren vielfältigen Dimensionen und Facetten kennenzulernen, motivieren, sich zu engagieren und einen Beitrag für die Verkündigung des Evangeliums zu leisten.

Das Erschliessen junger Menschen als locus theologicus in der pastoralen Arbeit erfordert von der Erwachsenenwelt ein vielfaches Zugehen auf die jüngere Generation. Authentizität, Ehrlichkeit und Resonanzfähigkeit dynamischer und lebendiger Begegnungen und das echte Interesse gegenüber jungen Menschen bilden den Rahmen, damit ihre Stimmen ertönen und adäquat gehört werden können. Dabei darf immer auch darauf vertraut werden, dass Gott selber gegenwärtig ist: «Gott ist der Urheber der Jugend und in jedem jungen Menschen am Werk.» (CV 135) Als Kirche gilt es die Lebensphase Jugend in ihrer Einzigartigkeit und Komplexität ernst zu nehmen und den jungen Menschen zuzugestehen, dass sie einer der theologischen Orte sein können. Die Qualität junger Menschen als locus theologicus ist eng mit der Würdigung ihres Lebensabschnittes verknüpft: «Die Jugend zu schätzen schliesst ein, diesen Lebensabschnitt als einen wertvollen Augenblick zu betrachten und nicht als eine Übergangsetappe, in der die jungen Menschen sich zum Erwachsenenalter hingedrängt fühlen.» (CV 135)

III.         Junge Menschen als locus theologicus in der Jugendpastoral

Werden das Konzept der loci theologici und die Aussage des Abschlussdokumentes, junge Menschen als einen der theologischen Orte zu identifizieren, zusammengedacht, stellt dies junge Menschen existentiell in die Mitte. Fortan können Kirche und Jugendpastoral keinen Bogen mehr um diese Mitte machen. Um nochmals das Zitat von Papst Franziskus in CV 135 aufzugreifen: Es müssen Räume geschaffen werden, damit die Stimmen junger Menschen ertönen können. Die Herausforderung für die Jugendpastoral liegt in der Schaffung dieser Räume, in denen sich junge Menschen für andere junge Menschen und für die Communio als locus theologicus entfalten können. Der letzte Teil des Beitrages möchte dazu einige praktische Hinweise anbieten, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.

Synodale (Jugend-)Pastoral

Das Pontifikat von Franziskus steht Pate für eine synodale Kirche. Er lässt keine Möglichkeit ungenutzt, auf die Synodalität und deren Bedeutung für die Zukunft der Kirche hinzuweisen. Auch das Abschlussdokument weist mehrmals auf eine synodale Kirche hin und vermerkt an einer Stelle, dass die jungen Auditorinnen und Auditoren an der Jugendsynode wesentlich dazu beigetragen haben, die Synodalität in Erinnerung zu rufen (vgl. AD 121). Eine synodale Kirche mit jungen Menschen als locus theologicus ist nun aber herausgefordert, die Synodalität bis in die Ortskirchen und Pfarreien wirksam werden zu lassen.

Wenn Pfarreien junge Menschen aktive Akteurinnen und Akteure in die pastorale Arbeit miteinbeziehen möchten, kann eine synodale (Jugend-)Pastoral der nötige und benötigte Rahmen dafür sein. Dies bedeutet, junge Menschen möglichst früh in pastorale Entwicklungsprozesse zu integrieren und ihnen in diesen Prozessen Gestaltungsfreiräume zuzutrauen und zu ermöglichen. Die jungen Menschen der Vorsynode äusserten mehrmals den Wunsch, auf den verschiedenen Ebenen der kirchliche Struktur mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen: «Die Kirche muss junge Menschen stärker in Entscheidungsprozesse einbinden und ihnen verantwortliche Leitungspositionen ermöglichen. Diese Positionen müssen in der Pfarrei, der Diözese, auf nationaler und internationaler Eben, sogar in einer Kommission des Vatikans sein. Wir sind der festen Überzeugung, dass auch wir Führungskräfte sind [...].» (VS 12)

Warum also nicht junge Menschen bei der nächsten Renovation der Pfarreikirche oder des Pfarreizentrums mitbestimmen lassen? Ihre Ideen und Vorstellungen können dazu beitragen, dass junge Menschen Sakralbauten und kirchliche Räumlichkeiten wieder vermehrt als Räume erschliessen können, in denen sie Gott und sich selber begegnen können.

Auch an grösseren und komplexeren pastoralen Prozessen müssen junge Menschen mitbeteiligt sein. Werden zum Beispiel Pfarreien zu einer grösseren Seelsorgeeinheit zusammengeschlossen, so wäre es nachhaltig, mindestens so viele junge Menschen wie erwachsene Personen am Entwicklungsprozess teilhaben zu lassen. Denn junge Menschen sind nicht nur die Zukunft, sondern in erster Linie die Gegenwart: jene Gegenwart, welche immer Ausgangspunkt des Ringens um die Entwicklung und Zukunft der Pfarrei, des Bistums, der Kirche ist. Nicht umsonst beklagten die jungen Menschen der Vorsynode die «Schwierigkeiten, einen Platz in der Kirche zu finden, an dem sie aktiv mitmachen und sie mitleiten können» (VS 7) verbunden mit dem Wunsch, «eine wichtige kreative Stimme sein zu können» (VS 12).

Diese zwei Beispiele mögen kurz veranschaulichen, wie eine synodale (Jugend-)Pastoral gestaltet werden kann. Die Beispiele machen deutlich, dass Synodalität nur als Bottom-up und gerade nicht als Top-down Prozess zu verstehen ist. Es ist dabei darauf zu achten, dass eine Schein-Beteiligung junger Menschen zu vermeiden ist. Junge Menschen müssen sich als vollwertige Mitglieder eines Entscheidungsprozesses anerkannt wissen, ansonsten läuft die Gefahr, junge Menschen für ein besseres Image oder das eigene Gewissen, zumindest junge Menschen «dabei zu haben», zu funktionalisieren. Ob die Baukommission oder das Pastoralraumteam die geeigneten Formate für junge Menschen sind, sich adäquat in pastorale Entwicklungsprozesse einzubringen, gilt es nun weiter zu eruieren.

Die Frage nach dem adäquaten Format

In der Jugendpastoral muss nach geeigneten Formaten gesucht werden, in denen junge Menschen ihrer Lebens- und Glaubenswelt entsprechend einerseits ihren Fragen, Anliegen und Erwartungen und anderseits ihrem konkreten Glauben Ausdruck verleihen können. Wenn Papst Franziskus für die Schaffung von Räumen plädiert, so impliziert dies auch die Suche und Schaffung von adäquaten Formaten. Nur so können sich junge Menschen auf lokaler, regionaler, kantonaler oder nationaler Ebene einbringen, mitbestimmen und Kirche mitgestalten. Solche Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse werden in der Regel in Gremien und entsprechend in einer Sitzungsstruktur und -kultur organisiert. Wie bereits oben anhand der beiden Beispiele «Baukommission» und «Pastoralraumteam» erwähnt, ist eine direkte Beteiligung junger Menschen an und in solchen Prozessen dringend nötig. Dazu motiviert auch die Jugendsynode: «Die Synode ruft dazu auf, die aktive Teilhabe junger Menschen an den Orten der Mitverantwortung in den Teilkirchen sowie auch in den Organen der Bischofskonferenzen und der Weltkirche zu etwas Effektivem und Normalem zu machen.» (AD 123)

Um eine für die Sache langfristig optimale Lösung und für alle Beteiligten eine befriedigende Erfahrung zu erreichen, stellt sich bei solchen Prozessen jedoch die Frage nach dem adäquaten Format. Mitbeteiligung und Mitbestimmung von jungen Menschen in der pastoralen Arbeit muss auf verschiedene Arten und Weisen möglich sein und darf nicht in eine vorgelegte Organisations- und Strukturform hineingepresst werden. Eine auf Augenhöhe ausgerichtete und gelebte synodale und volksnahe (Jugend-)Pastoral, welche junge Menschen als locus theologicus ernst nehmen möchte, schliesst junge Menschen in alle Phasen eines pastoralen Entscheidungs- und Entwicklungsprozesses mit ein. Wegbereitende Methoden, um gemeinsamen mit jungen Menschen zu Beginn eines Prozesses eine Triage der Bedürfnisse und Erwartungen zu machen, sind Zukunftswerkstätte, Open Space, World Café oder Grossgruppenprozesse. Bereits in diesem ersten Schritt ist es von grosser Bedeutung, junge Menschen in die Vorbereitung miteinzubeziehen. Dies gibt jungen Menschen die Möglichkeit, in die Rolle des locus theologicus hineinwachsen zu können.

Volksnahe Jugendpastoral

Synodalität soll in der pastoralen Arbeit vor Ort nach aussen sichtbar und nach innen wirksam sein. Für die Jugendpastoral bedeutet dies konkret, junge Menschen zu Protagonistinnen und Protagonisten pastoralen Handels und Wirkens zu befähigen. Junge Menschen sind nicht nur Zielgruppe, sie sind selbst lebendige Glieder der Kirche, die sich aktiv einbringen wollen. Ihre spezifischen Eigenschaften und Kompetenzen führen das pastorale Handeln – gerade auch für Gleichaltrige – zu einer authentischen Qualität, auf die nicht verzichtet werden kann. Sie aus der passiven Rolle in eine aktive Teilhabe an der Kirche zu bringen muss primäres Ziel der Jugendpastoral sein.

Papst Franziskus spricht von einer «volksnahen Jugendpastoral mit einem anderen Stil, anderen Zeiten, einem anderen Rhythmus, einer anderen Methodologie» (CV 230). Zu wünschen ist eine Jugendpastoral, die wortwörtlich «dem Volk nahe ist» und sich entsprechend mutig in die Orte begeht, in denen junge Menschen anzutreffen sind. Auch die jungen Menschen der Vorsynode forderten die Kirche auf, «neue kreative Wege [zu] finden, Menschen dort zu begegnen, wo sie sich wohlfühlen und sich spontan treffen» (VS13).  

Eine volksnahe Jugendpastoral impliziert zudem das Bestreben, den Fokus der jugendpastoralen Arbeit nicht auf einen bestimmten Kern junger Menschen zu beschränken, sondern sie offenzuhalten. Papst Franziskus beobachtet in Christus Vivit, dass «wir das Evangelium auf ein schales, unverständliches, uninteressantes Angebot [reduzieren]; dieses ist von den Jugendkulturen losgelöst und nur für eine Elite einer christlichen Jugend geeignet, die sich als etwas anderes fühlt, aber in Wirklichkeit in einer leblosen und unfruchtbaren Isolierung dahintreibt» (CV 232). Einen Lösungsansatz liefert Papst Franziskus gleich mit und ermutigt, eine «Jugendpastoral aufzubauen, die fähig ist, inklusive Räume zu schaffen, wo Platz ist für jede Art von jungen Menschen und wo wirklich sichtbar wird, dass wir eine Kirche mit offenen Türen sind» (CV 234).

Für eine volksnahe Jugendpastoral ist es wichtig zu wissen, welchen kulturellen, sozialen und religiösen Hintergrund partizipierende junge Menschen mitbringen, um sich auf die pluralen Lebens- und Glaubenswelten einlassen zu können. Alle jungen Menschen sind Teil des locus theologicus und tragen gleichermassen zur Bereicherung der Kirche und des Glaubens mit. Dies geht mit der Einsicht einher, dass es nicht die Jugend gibt und auch nie geben wird. Dafür gilt es bei Verantwortlichen in der Jugendpastoral das Bewusstsein zu schärfen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer Pluralität innerhalb der Jugendpastoral. Für junge Menschen ist es selbstverständlich, dass Gott niemanden ausschliesst; sie sehen ausnahmslos alle (jungen) Menschen immer schon von Gott geliebt und angenommen. Diese Haltung der jungen Menschen gilt es anzueignen. Eine volksnahe (Jugend-)Pastoral hat allen Menschen vorurteilsfrei, vorbehaltslos und damit mit echtem Interesse zu begegnen.

Unter sich für andere

Damit junge Menschen als locus theologicus «nach aussen», d.h. für eine Pfarrei, eine Diözese oder die Weltkirche einer der theologischen Orte sein können, müssen sie zuerst die Gelegenheit haben, «nach innen», d.h. untereinander als Gruppe junger Menschen auf dem Weg eine Tiefenbohrung zu Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen machen zu können. Verantwortliche in der Jugendpastoral sind angehalten, Räume und Möglichkeiten zu schaffen, in denen sich junge Menschen auch unter sich, ohne Beteiligung von Vertreterinnen und Vertreter der Kirche mit Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen auseinandersetzen dürfen. Die Autonomie in diesen Prozessen hilft jungen Menschen ihren Anliegen, Fragen und Erwartungen gegenüber dem Glauben und der Kirche authentisch, ehrlich und ungeniert Ausdruck zu verleihen. Junge Menschen bilden ihre Meinung in Peer-Groups. In bekannten Freundeskreisen ist die Hemmschwelle tiefer, die subjektiven Einsichten, Wertevorstellungen etc. zu äussern bzw. im Gespräch mit Gleichaltrigen zu schärfen.

Ein Beispiel aus dem Kanton Graubünden mag in groben Zügen für die Schaffung solcher Prozesse werben und zu eigenen Initiativen inspirieren und motivieren:

Im Vorfeld zur Jugendsynode setzte sich eine Projektgruppe, bestehend aus zwei jungen Menschen aus der Region, einer Religionswissenschaftlerin, einer Professorin und einer Fachperson für kirchliche Jugendarbeit als Projektleitung, mit der Fragestellung auseinander, wie junge Menschen untereinander zu einem Austausch zu Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen angeregt werden können. Leitend für die Projektinitiierung war, dass junge Menschen Teil der Kirche und selber auch Kirche sind. Das Projekt strebte zwei zentrale Wirkungsziele an, welche gleichzeitig zwei Phasen im Projekt darstellten:

(1)         Das Projekt wollte junge Menschen motivieren, sich mit Fragen des Glaubens und der Kirche auseinanderzusetzen und darüber untereinander in einen Austausch zu treten. In diesem eigenverantwortlich gestalteten Austausch, d.h. ohne Beteiligung von Vertreterinnen oder Vertreter der Kirche, sollten die Teilnehmenden sich selbst und einander als «religiös musikalische» Menschen kennenlernen, die einerseits ihre eigene Kompetenzen in Sachen Religion mitbringen und anderseits herausgefordert sind, ihre religiöse Begabung zu vertiefen.
(2)         Das Projekt wollte junge Menschen anregen, jene Aspekte, die ihnen in einem solchen Austausch wichtig geworden sind, an Verantwortliche in der Jugendpastoral weiterzugeben und den Dialog auf einer übergeordneten Ebene weiterzuführen. Dadurch sollten die Anliegen und Fragen der jungen Menschen Erwachsenen sichtbar und transparent gemacht werden, damit Verantwortliche in der Jugendpastoral diese in ihre Arbeit einflechten und integrieren konnten.

«Pastatalk» (1)

Für junge Menschen ist es meist nicht selbstverständlich, sich über religiöse und spirituelle Fragen auszutauschen. Es braucht dafür Anstösse, die genügend Reibungsfläche bieten, damit ein Gespräch von einer bloss oberflächlichen Sicht in eine ehrliche und nachdenkliche Auseinandersetzung führt. Für das Projekt wurden darum 10 Fragen und 10 provozierende Thesen/Aussagen zum Leben, zum Glauben und zur Kirche entwickelt. Sie wurden den interessierten jungen Menschen in Form des «pastatalk-Set» zur Verfügung gestellt, um das Grundgerüst von Diskussionen zu bilden. Die Fragen und Thesen/Aussagen wiesen, z.T. in überraschenden und verfremdenden Ausdrucksformen, auf wichtige Themen und positive Facetten von Kirche hin. Neue und bedeutsame Seiten von Glauben und Kirche sollten dadurch aufscheinen. Zugleich brachten einige der Fragen und Thesen/Aussagen jene Vorbehalte zur Sprache, die viele junge Menschen gegenüber religiösen und kirchlichen Themen mitbringen. Dadurch wurden die Teilnehmenden eingeladen, sich ehrlich und mit kritischen Einwürfen in das Gespräch einzubringen.

Die Einladung, sich für einen solchen Austausch Zeit zu nehmen, unterstrich das Projekt dadurch, dass es für solche Gespräche die Situation des Mahles vorschlug. Essen und Trinken sollten zu einem lustvollen und anregenden Gespräch einladen und motivieren. Denn das gemeinsame Mahl wird in der Gesellschaft als beziehungsstiftende Funktion erfahren. Darüber hinaus ist Tischgemeinschaft christliche eine so gefüllte und bedeutsame Realität, dass der Exeget Franz Mussner im Anschluss an den Galaterbrief zusammenfassend feststellte: «Das Wesen des Christentums ist synesthiein [miteinander essen]»[20].

Die Fragen und Thesen/Aussagen wurden auf Tischsets (Fragen) und Getränkeuntersätze (Thesen/Aussagen) gedruckt und so den interessierten jungen Menschen verschickt. In einem mitgelieferten «pastatalk-Booklet» wurden die jeweiligen Fragen nach Bedarf durch Symbole, Bilder, weiterführende Texte etc. ergänzt und illustriert, um zusätzliche Impulse für die jeweils angesprochenen Themen beizusteuern. Des Weiteren stellte das Projekt den jungen Menschen eine Packung Spaghetti, eine Sauce und einen lokalen Sirup zur Verfügung. Um die Ergebnisse und Antworten der Diskussionen festzuhalten, hatten die jungen Menschen die Möglichkeit, ihre Antworten, Eindrücke, Erlebnisse oder weiterführenden Fragen stichwortartig auf einer mitgelieferten Postkarte festzuhalten. Diese Postkarte konnte entweder per Foto oder per Post an die Projektgruppe zurückgeschickt werden.

«Talksession» (2)

Mit der «talksession» wollte das Projekt über die eigenverantwortlich gestalteten Treffen hinaus jungen Menschen auf kantonaler Ebene die Möglichkeit geben, ihre Anliegen, Fragen und Erwartungen zu Glaube, Religion und Kirche kundzutun. Die von der Projektgruppe organisierte «talksession» machte damit die Anliegen, Fragen und Erwartungen junger Menschen öffentlich sichtbar. Denn zu diesem Anlass wurden Verantwortliche aus Seelsorge und Pastoral aus dem Kanton Graubünden und dem Bistum Chur als Beobachterinnen und Beobachter eingeladen und hatten so die Gelegenheit, die Meinungen junger Menschen direkt wahrnehmen zu können. Mit ihrer Teilnahme signalisierten sie den teilnehmenden jungen Menschen ihre Bereitschaft, jungen Menschen aus ihrer Region zuzuhören. Die «talksession» wollte zudem Anstoss zu einem synodalen Prozess mit jungen Menschen geben, welcher zum jetzigen Zeitpunkt, ein halbes Jahr nach der «talksession», weiter anhält.

Der Projektgruppe war es wichtig, dass sich junge Menschen in einem ersten Schritt unter Gleichaltrigen und explizit ohne Beteiligung von Vertreterinnen und Vertreter zu Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen austauschen konnten. Dies trug in einem zweiten Schritt wesentlich zu einer überzeugenden Artikulation ihrer Anliegen, Fragen und Erwartungen gegenüber Dritten bei und wurden so zu einem authentischen theologischen Ort.  

Junge Menschen als Protagonistinnen und Protagonisten

Der Einbezug von jungen Menschen in pastorale Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen; eine auf Augenhöhe synodale und volksnahe Jugendpastoral; die Frage nach dem adäquaten Format; die Schaffung von Begegnungen verschiedenster Art mit entsprechender Dynamik und Resonanzfähigkeit – all diese Aspekte im Kontext junger Menschen als locus theologicus verschmelzen sich in einem letzten, bereits oben angedeuteten Punkt: Junge Menschen als locus theologicus sind zu Protagonistinnen und Protagonisten pastoralen Handelns und Wirkens zu befähigen. Dies setzt Möglichkeiten zum Engagement voraus, die zu aktiver Beteiligung führen. Leitend dafür dürfen nicht die Sach-Kompetenzen oder Interessen der Verantwortlichen in der Jugendpastoral sein, sondern gerade das Interesse und die Fähigkeiten der jungen Menschen. Dies führt automatisch zu einer dringend nötigen Änderung der Arbeitsweise in der Jugendpastoral: von einer Jugendpastoral des Angebots zu einer Jugendpastoral der Befähigung. Junge Menschen sind bereits durch die Taufe zu Protagonistinnen und Protagonisten kirchlichen und gesellschaftlichen Handelns befähigt worden, was die Synodenteilnehmer im Abschlussdokument mit Nachdruck in Erinnerung rufen: «Die verantwortungsvolle Teilhabe junger Menschen am Leben der Kirche ist keine Option, sondern eine Forderung des Lebens aus der Taufe und ein unverzichtbares Element für das Leben jeder Gemeinschaft.» (AD 116)

Mit diesem letzten Punkt sind weitere jugendpastorale Einsichten verbunden, die aber den Rahmen dieses Beitrages sprengen würden. Trotzdem sollen zum Abschluss einige dieser Punkte genannt werden, welche deutlich machen, dass das Feld «junge Menschen als locus theologicus in der Jugendpastoral» bei weiten noch nicht abgesteckt und unbedingt weiterzuverfolgen ist.

  • Rollenverständnis und -gestaltung von Verantwortlichen in der Jugendpastoral
  • Adäquate Begleitung junger Menschen in der Jugendpastoral
  • Pastorale Experimentierräume für junge Menschen
  • Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für junge Menschen als Protagonistinnen und Protagonisten

 

Literaturverzeichnis

Beinert Wolfgang, Kann man dem Glauben trauen? Grundlagen theologischer Erkenntnis, Regensburg: Verlag Friedrich Pustet, 2004.

Fachstelle OKJ & Fachbereich Kirchliche Jugendarbeit der katholische Landeskirche Graubünden, Viktor Diethelm/Claude Bachmann, 8 Thesen zur Jugendsynode, Luzern 2019.

Körner Bernhard, Orte des Glaubens – loci theologici. Studien zur theologischen Erkenntnislehre, Würzburg: Echter Verlag GmbH, 12014.

Körner Bernhard, Welche Rolle spielen die loci theologici in der Fundamentaltheologie, in: Meyer zu Schlochtern, Josef (Hrsg.); Siebenrock, Roman A. (Hrsg.): Wozu Fundamentaltheologie? Zur Grundlegung der Theologie im Anspruch von Glaube und Vernunft, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2010, 15 – 38.

Schnackenburg, Rudolf (Hrsg.); Vögtle, Anton (Hrsg.); Wikenhauser, Alfred (Hrsg.): Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Bd. IX: Der Galaterbrief. Eine Auslegung von Franz Mussner. Freiburg i. Br.: Verlag Herder KG, 1974.

Pottmeyer, Hermann Josef, Normen, Kriterien und Strukturen der Überlieferung, in: HFTh1, Bd. 4 (1988), 124 – 152.

Rosa Hartmut, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin: Suhrkamp Verlag, 32016.

 

[1] Das Dokument der Vorsynode und das Schlussdokument der Bischofssynode 2018 sind auf der Internetseite: http://www.vatican.va/roman_curia/synod/index_ge.htm abrufbar (23.4.2019)

[2] Pottmeyer Überlieferung 142.

[3] Vgl. Körner Cano 94.

[4] Ebd. 94.

[5] Heilige Schrift, Mündliche Überlieferung Christi und der Apostel, die katholische Kirche, die Konzilien, die Römische Kirche [Papstamt], die Kirchenväter, die Theologen, die menschliche Vernunft, die Philosophen, die Geschichte; Vgl. Beinert Glauben 73.

[6] Beinert Glauben 74.

[7] Vgl. ebd. 76 – 77.

[8] Ebd. 76.

[9] Ebd. 77.

[10] Vgl. ebd. 77 – 79.

[11] Ebd. 188.

[12] Körner loci theologici 63.

[13] Ebd. 29.

[14] Massey Keine Entlastung, 28.

[15] Körner loci theologici 29.

[16] Pottmeyer Überlieferung 142.

[17] Ansprache des Heiligen Vaters zu Beginn der Jugendsynode, 3. Oktober 2018, http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2018/october/documents/papa-francesco_20181003_apertura-sinodo.html (aufgerufen am 11.4.2019).

[18] Rosa Resonanz 282.

[19] Hurrelman Lebensphase Jugend 23.

[20] Schnackenburg/Vögtle/Wikenhauser Galaterbrief 423.

Tags: Jugendpastoral, Christus vivit, Junge Menschen

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